Ob die Beschreibungen Erlebnisse Jung-Stilling im märkischen Sauerland die damals typischen Verständigungsprobleme zwischen Sieger- und Sauerländer widerspiegeln oder eher die subjektiven Wahrnehmungen eines jungen Mannes, der widerwillig ins Sauerland zog? Dazu kann sich ein jeder seine persönlichen Gedanken machen.
Im Jahr 1755 übernahm Johann Heinrich Jung gen. Stilling, der später ein bekannter Augenarzt und Wirtschaftswissenschaftler werden sollte, sich dato aber noch als Schneidergeselle und Dorflehrer sein Auskommen verdingte, eine Stelle als Haus- und Dorflehrer bei dem Fabrikanten Stahlschmidt in Himmelmert (heute zu Plettenberg, bei Jung-Stilling als „Dorlingen“ verklausuliert) an.
Sein Aufenthalt bei den Stahlschmidts in Himmelmert währte zwar lediglich drei Monate – es waren jedoch drei lange Monate für Jung-Stilling, auf den die Sauerländer Art und Gepflogenheiten offensichtlich keinen positiven Eindruck hinterlassen haben, wie aus seinen „Lebensbeschreibungen“ zu entnehmen ist.
Schon in seinem Bericht über die neunstündige Reise mit den Fuhrleuten von Grund (heute Hilchenbach-Grund) nach Himmelmert stimmt Jung-Stilling seine Leser in die trübsinnige Zeit ein, die vor ihm liegen sollte „Die Gegenden, welche er in dieser Jahreszeit durchzureisen hatte, sahen recht melancholisch aus. Sie machten Eindrücke auf ihn, die ihn in eine gewisse Niedergeschlagenheit versetzten. Wenn Dorlingen (Himmelmert) in einer solchen Gegend liegt, dachte er immer, so wird mirs da doch nicht gefallen“ (Lebensbeschreibung, S. 67, Z. 24-29). Dazu kam, dass die Fuhrleute ihn ärgerten und „grobe Witze“über ihn machten, was seine Stimmung nicht hob.
An den Sauerländern, allem voran an dem Fabrikant Stahlschmidt, den Knechten und seinen Schülern, lässt der junge Dorflehrer kein gutes Haar. Alle werden als ungehobelte, laute, stets zu üblen Scherzen aufgelegte Menschen von eher kompakter körperlicher Erscheinung zu sein beschrieben.
Seine Schüler schienen nicht allzu lernwillig gewesen zu sein, welche Methode er auch immer versuchte, so dass er „nicht recht wusste, was er mit diesem Volk anfangen sollte. Ihm war bang vor so vielen wilden Geschlechtern“ (Lebensbeschreibungen S. 68, Z. 31 - 33). Jung-Stilling beklagt auch, dass niemand ihm in diesem Hause „hold“ sei und dass er „ihre niederträchtige, ironisch-zotigte und zweideutige Reden nicht verstand.“ (Lebensbeschreibung S. 69, Z. 13 – 14).
Der Fabrikant Stahlschmidt war anscheinend nicht allzu redselig, „was er aber sagte, das war von Gewicht und Nachdruck, weil es gemeiniglich jemand, der gegenwärtig war, beleidigte.“ (Lebensbeschreibung, S. 68, Z. 13 – 15). Tiefere Gespräche fanden zwischen Jung-Stilling und seinem Herrn nicht statt, die Verständigung wurde durch eine wie auch immer geartete Hürde – sei es der Dialekt oder seien es die verschiedenen Sprachstile unterschiedlicher Bildungsschichten – erschwert. „Vor allem, was Stilling gewohnt war zu reden, verstand er nicht ein Wort, eben so wenig als Stilling begriff, wovon sein Patronredete. Daher schwiegen sie beide, wenn sie beisammen waren.“ (Lebensbeschreibung, S. 69, Z. 18 - 22)
Bild: Ölgemälde, bereitgestellt von der Stadt Hilchenbach.
Literatur:
Heinrich, Sage B. (Hg.), Lebensbeschreibung von Heinrich Stilling (sonst Heinrich Jung genannt) – eine wahrhafte Geschichte, o. O. 1811 – online einsehbar unter http://books.google.de/books?id=QTcFAAAAYAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false
Bearbeitung/Text: Susanne Thomas