Fürstin Pauline zur Lippe (1769-1820), verheiratet mit Leopold I., führte als Witwe in der Zeit von 1802 bis 1820 die Regentschaft in Vertretung für ihren noch minderjährigen Sohn und unternahm verschiedene Reisen. Diese quierlige und humorvolle Dame von stattlicher Figur erfuhr buchstäblich am eigenen Leibe, wie riskant eine Kutschfahrt durch einen Hohlweg sein konnte.
Fürstin Pauline zur Lippe (1769-1820), verheiratet mit Leopold I., führte als Witwe in der Zeit von 1802 bis 1820 die Regentschaft in Vertretung für ihren noch minderjährigen Sohn und unternahm verschiedene Reisen.
In ihren Reisetagebüchern berichtet sie demzufolge von wo nach wo sie jeweils unterwegs war und wie die Bedingungen des Reisens waren. Sie erläutert Verkehrsverhältnisse und den Zustand von Straßen und Wegen, ferner die Art und Weise, wie Reisen um 1800 organisiert wurde, wie die Qualität der Quartiere war und wie Städte, Landschaften und soziale Verhältnisse auf sie wirkten. Eine der Reisen führte sie von Oktober bis Dezember 1807 von Detmold aus nach Paris. Pauline wollte dort die Souveränitätsrechte ihres Fürstentums innerhalb der Rheinbundstaaten vertreten. Stationen auf der Route waren u. a. die Orte Hamm, Unna, Hagen, Herdecke, Schwelm, Barmen und Elberfeld.
Fürstin Pauline besaß offensichtlich eine gehörige Portion Humor und dicke Nerven, wie ein Auszug aus ihrem Tagebuch zu einem kleinen Unfall in einem Hohlweg beweist:
"Eine halbe Stunde später kamen wir in einen Hohlweg. Unser sich selbst mächtig preisende Postillion wollte einem Schlagloch ausweichen, fuhr halbes Gleis und der Wagen sank auf der rechten Seite, wo ich saß, allmählich herab. Schon lag er, und ich, der die Erfahrung neu war, glaubte noch nicht umgeworfen zu sein, aber da fiel er ganz, der linke Schlag [Tür] nach oben. Ich hatte ein Federkissen im Rücken und fiel mit diesem und lag wie im Bette. Wohl wissend, dass ich vollkommen wohlbehalten war, begriff ich erst das Hindernis meines mich nicht aufrichten Könnens, bis ich gewahr ward, ich läge unter dem Sitz.
Ich kullerte mich hervor, stand auf und erblickte das Fräulein Biedersee gleichfalls stehend und mir antwortend, ihr sei nichts geschehen. Nun fehlte und schwieg noch unser Regierungsrat. Aber er versuchte, wenn auch vergeblich, das hintere Fenster zu öffnen, um heraus zu steigen und den Wagen aufzurichten. Er beteuerte, nichts empfunden zu haben, als dass er von einer sitzenden Stellung in eine liegende komme. Wenn man bedenkt, dass im Wagen Bouteillen [Flaschen] und Pistolen waren, wovon sogar eine aus der Tasche fiel, und dazu noch eine schwere Chatoulle [Kiste], so kann man Gott nicht genug danken, dass er uns bewahrte.
Da das gute Fräulein mehr an mich als an sich denkend, sich nicht auf mich hatte fallen lassen wollen, umfasste ihre linke Hand den Haltegriff derart fest, dass sie stark angespannt war und nun anschwoll. Ihre Nase hatte an der Imperiale [Gewebe aus Kammgarn] des Wagens etwas Epidermis [Haut] gelassen. Der Bediente Nieländer war auf den Arm gefallen und es war eine Scheibe gesprungen. Aber darauf beschränkte sich das ganze Unangenehme des so glücklichen Unglücks, den Schrecken für die im zweiten Wagen Sitzenden, die uns fallen sahen, mit eingerechnet. Sie kamen uns zu Hilfe, mit ihnen ein Fremder, der von Corbach bis Marburg oft mit uns ritt. Aber wir mussten heraus, ehe dem Wagen empor geholfen werden konnte.
Die Aufgabe war nicht so ganz leicht, da man mich erst auf die Imperiale schwingen musste. Es gelang indessen dem Fräulein mit einiger Nachhilfe aus dem Innern des Wagens zu kommen. Dann trugen sie drei Postillione [Postkutscher, Postreiter] auf das feste Land jenseits. Bei meinem größeren physischen Gewicht war es eine andere Sache. Es wurden Kissen und eine Fußbank aufgeschichtet, ich kam herauf und rutschte auf die Wagendecke unter vielfachem Beistand. Ich ward nun von fünf Personen wie ein Ballen Frachtgut herabgefördert. Unserem leichten und gewandten Reisegefährten kostete das Herauskommen nur zwei Sprünge.
Nun wurde das Zerbrechliche herausgenommen, der Wagen aufgehoben und mich wunderte es, er war noch ganz. Wir setzten uns hinein, indessen war es über diesen Aufenthalt dunkel geworden und es bedurfte der Leuchten wieder. Wir dankten erst Gott und dann lachten wir herzlich, besonders, da sich noch einige komische Folgen fanden: eine von Schmutz gezeichnete Fuß-Silhouette, an der Seitenwand des Wagens, eine etwas ausgelaufene Arrak-Bouteille [ostindischer Reisbrandwein] und dergleichen mehr."
Quelle: Fürstin Pauline zur Lippe: Eine Fürstin unterwegs, bearb. von Hermann Niebuhr, Detmold 1990 (Lippische Geschichtsquellen, Bd. 19)
Bearbeitung + Text: Irene Rumpler M.A.