Lebenselexier Wasser

Wassermassen waren für Weidenau erst hemmend dann ein Segen

- Dieser Text wurde uns freundlicher Weise von Heinz Bensberg zur Verfügung gestellt -

Am 21. Dezember 1333 wurde Weidenau erstmals urkundlich erwähnt und zwar unter dem Namen Wydenouwe und 1441 unter Wydenauw. Auf Siegerländer Platt wurde Weidenau als Wirenau bezeichnet. Zusammen mit den Ortsteilen Buschgotthardshütten, Fickenhütten, Haardt, Meinhaardt, Münkershütten, Müsenershütten und Schneppenkauten bildeten diese Gemeinden Jahrhunderte lang einen Schwerpunkt von Eisenindustrie und Bergbau.
 
Durch einen Erlass des deutschen Kaisers Wilhelm II. wurde 1888 festgelegt, dass alle Ortsteile den Namen Weidenau führen sollten. Am 10. Mai 1939 bekam Weidenau durch den Oberpräsidenten der preußischen Provinz Westfalen ein Wappen verliehen. Es war in Silber (Weiß). Ein blauer Wellenbalken ging quer durchs Bild und stand für die Flüsse Sieg und Ferndorf. Über dem blauen Balken war in der Mitte ein roter Hochofen mit schwarzer Öffnung. Links und rechts davon je drei rote Werkshallen. Unter dem Balken war eine bewurzelte Kopfweide mit rotem Stamm und acht grün beblätterten Zweigen, die für die Ortsnamen standen.
 
1955 bekam Weidenau die Bezeichnung Stadt von der NRW Landesregierung verliehen. Hier lag kein Gnadenakt eines Kaisers, keine Auswertungen landesherrlicher Spannungen oder wirtschaftliche Interessen eines Fürsten, wie bei den drei älteren Siegerländer Städten Siegen, Hilchenbach und Freudenberg, vor. Ab 1. Juli 1966 gehörte der Ort zur Stadt Hüttental, die am 1. Januar 1975 im Rahmen der kommunalen Neugliederung nach Siegen eingemeindet wurde. Bei der Eingemeindung nach Hüttental hatte Weidenau eine Fläche von 7,07 km² und über 16.000 Einwohner. Somit lebten 2.273 Personen je km² in Weidenau.

 Von den Ursprüngen
Vor der ersten Besiedlung im Weidenauer Raum gab es eine große sumpfige Fläche des Ferndorf- und des Siegtales. Diese Flüsse waren seinerzeit noch ungezähmt und gruben sich wohl zur Regenzeit und nach der Schneeschmelze auch ab und zu ein neues Bett. Auch die Hüttenleute, die durch Schlackenvorkommen im Weidenauer Raum nachweißbar waren, wurden noch nicht Herr über diese Wassermassen. Denn das früheste Abgabenverzeichnis, das um 1300 anzusetzen ist, erwähnte in Weidenau nur vier sehr bescheidene Bauernhöfe. Noch 150 Jahre später, 1461, erschienen erst 12 Zahlungspflichtige in Weidenau, unter denen sich drei Pächter von größeren Hofgütern befanden. Es waren 1. der landesherrliche Hof, 2. ein kirchlicher Hof auch Spitalshof genannt, da er dem Hospital in Siegen gehörte, und 3. der adlige-wildenburgische Hof.

Die Spuren jener Menschen, die einst als die Ersten, Land von den Ufern der Ferndorf und Sieg abrangen, was sie für die Erhaltung ihres Daseins benötigten, verlieren sich im Dunkel der Vergangenheit. Erwähnenswert ist noch, dass bei der Einmündung in Weidenau, wo sich das Wasser der Ferndorf mit der Sieg vereinte, die Ferndorf größer war und mehr Wasser brachte als die Sieg. Das Einzugsgebiet der Sieg war bis hierhin 134,2 km² und der Ferndorfbach hatte ein Einzugsgebiet von 153,2 km². Wegen der Städte Siegen und Siegburg sowie dem Siegerland wurde der Name Sieg natürlich beibehalten.
 
Ein großer Teil der versumpften Talsohle war inzwischen entwässert aber blieb im Landes oder kirchlichem Besitz. Die landwirtschaftliche Lage verbesserte sich kaum. Denn das Dörfchen war seinerzeit nicht größer als Beienbach oder Feuersbach aber kleiner als Nenkersdorf oder Walpersdof mit 21, Rudersdorf mit 24 und Wilnsdorf mit 28 Steuerzahlern. Niemand hatte damals ahnen können, dass ein vollkommener Wandel in der Entwicklung bevor stand. Was weit über 100 Jahre ein gewaltiges Hemmnis gewesen war, wurde nun ein Segen, nämlich der Wasserreichtum.
 
Wasser für Wasserräder
Man hatte inzwischen gelernt, die Kraft des fliesenden Wasser für die Eisenindustrie durch die Wasserräder zu nutzen. Überall entstanden an den größeren Bächen Blashütten, die Vorläufer der Hammerhütten und Hochöfen. Das Lied der Hämmer zog die Menschen mehr und mehr in seinen Bann. Zu den Weidenauern kamen andere kräftige Männer aus dem Siegerland. Die Blütezeit der Eisenindustrie brach an. Es begann das Wachstum der Hüttendörfer an Ferndorf und Sieg, denn der Mensch hatte es gelernt die Wasserkraft der Flussläufe in seinen Dienst zu stellen. Fleiß, Können und Schaffensdrang der Siegerländer Menschen begründeten die Hammer- und Hüttenblühte von damals.                               

1417 wurden sie erstmals erfasst. Am Ende des Jahrhunderts gab es im Siegerland 38 Eisenwerke, von denen Zehn im Weidenauer Raum waren, nämlich drei Blashütten und sieben Hammerhütten. Dadurch wurde der Weidenauer Raum industrieller Mittelpunkt des Siegerlandes. Als ob diese Ansiedlungen noch nicht genug gewesen wären, baute man gegen Ende des 17. Jahrhundert noch ein Hammerwerk in Schneppenkauten. Es hatte aber nicht lange bestanden, da man wegen der Wasserentnahme große Schwierigkeiten hatte.
 
Auf einer Karte waren alle die unzähligen Gräben von den Wasserläufen aufgelistet. Wenn man die Karte betrachtete, dachte man, es wäre ein Bild der Grachten von Amsterdam. Durch all diese Gräben waren Ferndorf und Sieg gut entwässert und man konnte dadurch die von Menschen erschaffene Bewässerung der Wiesen gut durchführen. Bereits 1566 wurde in Weidenau ein Wiesenknecht erwähnt. Er stand in gräflichen Diensten und war für die Bewässerung und Pflege der Wiesen zuständig.
 
Kurz nach dem Bau der Hüttenwerke entstanden in kurzer Zeit sieben neue Dörfer auf der entwässerten Fläche aber immer noch voneinander getrennt. Damit war der Weidenauer Raum auch der dicht besiedelste des Siegerlandes. Wohlhabende Hammer- und Hüttengewerke zeigten die Steuerlisten des 16. Jahrhundert. Die Kasse des Grafen war durch die Freiheitskämpfe der Holländer geleert worden, so dass er den großen Weidenauer Hof und all seine Hauberge an zahlungskräftige Hammergewerken verkaufte. Zur selben Zeit kam das Siegener Hospital in Geldnöte und veräußerte seinen Grundbesitz in Weidenau. Damit war das linke Ferndorfufer in die Hände der Bewohner von Weidenau gelangt und die Entwicklung nahm seinen Lauf.
 
1566 hatte Weidenau 266 Einwohner und war damit die drittgrößte Gemeinde des Siegerlandes. Das rechte Ferndorfufer blieb aber im Besitz der Grafen, es war der Hof Füsselbach. Er wurde Witwensitz und hieß von da an Charlottental. Den Hauberg dazu erweiterte Fürst Johann Moritz zu einem Wildpark. Aber auch in Weidenau wuchsen die Bäume nicht in den Himmel wegen der eigenwilligen Landesväter.  Noch galt der Grundsatz, dass der Fürst und sein Volk eine Religionsgemeinschaft bildeten. So war es auch 1626 als der Katholische Graf Johann der Jüngere seine Untertanen wieder katholisch machen wollte. Bei der Einführung der Reformation 1530 hatte wohl kein Ort des Johannlandes  damals so hartnäckig Widerstand geleistet wie Weidenau. Ja Weidenau wurde der Mittelpunkt des  Widerstandes gegen fürstliche Despotie. Der Fürst führte eine Misswirtschaft und presste quasi seine Untertanen durch untragbare Steuerlasten aus. Die Weidenauer Gewerken waren nicht nur wirtschaftlich unabhängig geworden, sie waren es auch weltanschaulich.
 
Unruhige Zeiten
Bei der Festnahme Friedrich Flenders, konnten die anderen Rebellenführer sich durch einen Sprung über die Ferndorf ins evangelische Land retten. Die Ferndorf war damals so etwas wie der eiserne Vorhang. Friedrich Flender der 1707 hingerichtet wurde, büßte somit sein Eintreten für die Freiheit mit dem Tode. Die letzte Ruhestätte fand er auf dem alten Weidenauer Friedhof, wo die Gemeinde ihm ein würdiges Denkmal errichtet hatte. Aber auch die Pest hatte in den 20er Jahren des 17. Jahrhundert sehr viele Opfer gefordert. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung erlagen ihr.
 
Ab 1743 wurden die Folgen der konfessionellen und politischen Wirren und das massenhafte Sterben langsam  überwunden. Die erste große Fernstraße von Elberfeld nach Frankfurt, die 1770 bis 1780 gebaut wurde, führte durch Weidenau und brachte große Vorteile. Der Absatz der Weidenauer Werke ins Märkische und Niederbergische wurde erleichtert, aber auch der Holzkohlekauf aus dem Olper Land und später die Einfuhr der Steinkohle von der Ruhr. Mit 1.100 Einwohner war Weidenau im Jahre 1806, es war der Beginn der französischen Fremdherrschaft, der größte Ort im Lande.
 
Durch die Neuordnung Europas fiel das Siegerland an den aufstrebenden preußischen Staat. Auch auf wirtschaftlichem Gebiet brachte das 19. Jahrhundert manche Änderung. Neue große Werke entstanden, denn aus den alten Hammerhütten wurden Puddel- und Walzwerke. Auswärtiges Kapital von der Rolands- und Bremerhütte drohte die Macht an sich zu reißen, aber der Geist der bodenständigen kleinen und mittleren Unternehmen blieb erhalten. Aus bescheidenen Anfängen entwickelten sich Eisen- und Walzengießereien und eine weiterverarbeitende Blechindustrie von Weltruf.

Die neugegründete Rolandshütte  trug mit dazu bei, denn sie war jahrzehntelang ein Wahrzeichen im Herzen Weidenaus. Die Bedeutung dieser Hütte brachte die Handelskammer in ihrem Jahresbericht von 1867 zum Ausdruck.  Sie schrieb, dass die neuerbauten Hochöfen der Rolandshütte dieselbe Tagesleistung hätten wie die größten Öfen dieser Art in Deutschland und England. Die Einwohnerzahl stieg in den ersten 100 Jahren unter preußischer Verwaltung um das Zehnfache.

Jahrhunderte lang hatte man auf den Hütten nur wirtschaftlich gedacht. Fleißige Arbeit an der Walze, am Puddelofen und im Hauberg, Wiese und Feld standen an erster Stelle. Geldverdienen und sparen wurden ganz groß geschrieben. Gewaltige Schornsteinriesen, mächtige Grubenfördertürme, riesige Schlackenhalden, bekannte Walzengießereien und Fabrikbauten einer leistungsfähigen Blechwarenindustrie bestimmten viele Jahrzehnte das äußere Bild dieser Gemeinde, die sich zu der größten des Siegerlandes entwickeln konnte.
 
Die Weidenauer Industrie kannte nicht nur Zeiten der Blüte sondern auch die der Krise. Doch die Schaffenskraft der Weidenauer Industrie blieb trotz aller Stürme ungebrochen. Den ersten großen Rückschlag brachte der 30jährige Krieg mit dem Niedergang der heimischen Wirtschaft. Ganz langsam erholte man sich wieder. Die zweite Krise kam, so merkwürdig es klingen mag, mit dem Bau der Eisenbahnlinie. Große Mengen von Eisenerz wurden aus dem Siegerland in das Kohlegebiet zu den neuen Hochöfen gefahren. Den dritten Rückschlag brachte der erste Weltkrieg mit der großen Inflation und das Sterben der Hütten nahm seinen Lauf.

Gute Verkehrslage

Durch die günstige Verkehrslage blühte die Siedlung Haardt immer mehr auf und drückte das namensgebende Dorf Weidenau  in den Hintergrund. Post und Bahn trugen ab 1866 den Namen Haardt (Sieg). Trotz aller Bemühungen wurde der Name Weidenau durch Kaiserlichen Erlass vom 21.7.1888 für die zusammengewachsenen Ortsteile festgelegt. Also genau 555 Jahre nach der ersten urkundlichen Erwähnung. Der Grund, dass Weidenau von allen Ortsnamen genommen wurde, lag wohl daran, dass es etwa in der Mitte der Ortschaften lag und die älteste war. Knapp 50 Jahre später, nämlich am 1. April 1957, erhielt Weidenau erneut Zuwachs und zwar das nördliche Alt-Buschgotthardtshütten.  

Karl Sassmann, der von 1878 bis 1916 Gemeindevorsteher war, hatte gegen großen Widerstand den Erwerb des Bismarckplatzes und den Bau der Bismarckhalle durchgesetzt. Bei seinem Ausscheiden aus dem Amt wurde er Ehrenbürger der Gemeinde. Er hatte nicht nur seiner Gemeinde sondern dem mittleren Siegerland die erste Kulturhalle geschaffen und dazu beigetragen Weidenau zum kulturellen Mittelpunkt des Siegerlandes zu machen.
 

Text: Heinz Bensberg